Projektablauf

Da Theorie und Praxis bekanntlich oft nichts miteinander zu tun haben, möchte ich exemplarisch am Kinofilmprojekt “Fickende Fische” aufzeigen, wie ein reales Projekt ablaufen kann. Selbstverständlich gleicht kein Projekt einem anderen! Jedes birgt seine eigenen, ganz speziellen produktionstechnischen Tücken, und genauso hat jedes Animationsstudio seine eigenen Strategien entwickelt, diese anzugehen. Es führen eben viele Wege nach Rom.

Los geht es mit “Fickende Fische”.

  • Regie: Almut Getto
  • Produktionsleitung: Herbert Schwering
  • 3D-Animation/Visual FX: ANIMA RES
  • 90 Minunten Länge

Die Kino-Coproduktion von Iconfilm mit dem WDR wurde mit dem Preis des saarländischen Ministerpräsidenten beim Max-Ophüls-Filmfestival 2002 ausgezeichnet. Über den Titel wurde natürlich lange und heftig gestritten. Da ihm aber eine gewisse Wirkung, selbst von den Kritikern der Namensgebung, nicht abgesprochen werden konnte, entschied man sich für dessen Beibehaltung.

Es ist ein Spielfilm über die erste Liebe, eine tragische Krankheit und die interessante Frage, ob Fische eigentlich wirklich Sex haben oder nicht.

Das Ganze begann mit einem Telefonanruf. Kurz vorher hatten wir erfolgreich für den TVSpielfilm “Schluss mit lustig” in einer Traumsequenz Südseefische per “Post” in ein deutsches Hallenbad verfrachten können. Als die Produktionsfirma hörte, dass wir bereits Erfahrungen in einem ähnlichen Bereich sammeln konnten, hatten wir uns damit für ein erstes Gespräch qualifiziert.

StoolAbb. 1: Weitere Modelle aus
dem Kinofilm “Fickende Fische”

Die Aufgabenstellung lautete wie folgt: In einer Szene (003) sollen zwei Fische, welche die beiden Hauptdarsteller repräsentieren, in einer vorgegebenen Choreografie einander begegnen und kennen lernen. In drei weiteren Szenen (016, 035, 106) soll eine dritte Fischart mit dem männlichen Schauspieler interagieren. Lösen sollten wir dieses Problem in Postproduktion. Darüber hinaus wurden uns auch alle anderen visuellen Effekte in diesem Film, wie z. B. Titelanimation, Wire-Removal, Farbkorrekturen etc., sowie die Funktion eines FX-Supervisors, mit dazugehöriger Drehbegleitung, übertragen. Die Drehbegleitung sollte sicherstellen, dass die Filmaufnahmen für die später anzufertigenden Effekte auch wirklich brauchbar sein würden.

Während der Organisationsphase sah sich der Planungsstab, was die Fische betraf, in folgendem Dilemma: Optische Natürlichkeit und die im Skript vorgesehene Interaktion mit Darstellern sprachen für einen Dreh mit echten Fischen. Dagegen stand jedoch, dass von der Regisseurin nicht hier beheimatete Warmwasser-Buntbarsche gewünscht und erste Bedenken bezüglich der allgemeinen Steuerbarkeit der Szene laut wurden. An diesem Punkt wurde das erste Mal über die Möglichkeit von computergenerierten Fischen nachgedacht und eine Verlagerung von Post zu 3D in Erwägung gezogen. Da die Produktionsleitung letztendlich aber bezweifelte, dass der Look der Fische, deren Bewegungen und die geforderte Interaktion mit den Schauspielern realistisch genug sein würden, begnügte man sich damit – um sich alle Möglichkeiten offen zu halten –, erste Informationen über die Machbarkeit und die Art der Umsetzung einzuholen und das Ganze anschließend wieder auf Eis zu legen.

Guppie-ModellAbb. 2: Guppie-Modell

Der erste Versuch bestand darin, die für die Hauptdarsteller stehenden Warmwasserbarsche mit Hilfe subtiler Köcherlenkung in einem Zoo-Aquarium vor blauem Hintergrund abzufilmen, um deren Freistellung zu ermöglichen. Aus dem aufgenommenen Material sollten die benötigten Szenen in der Postproduktion zusammengeschnitten werden. Die dritte Art, verkörpert von schlichten Flussfischen, sollte mit dem Schauspieler zusammen vor Bluescreen gedreht werden und idealerweise wie gewünscht auf ihn reagieren.

Und so kam der von uns vorgeschlagene 3D-Ansatz wieder ins Spiel. Da die potenziellen Auftraggeber nach wie vor große Bedenken hatten, entschlossen wir uns, ein Preview anzufertigen, das ihre Zweifel zerstreuen sollte. Kurzer Hand machten wir uns auf den Weg zur örtlichen Tierhandlung, bewaffnet mit einer Mini-DV, und hielten auf das erstbeste Aquarium. Guppies! Diese Aufnahmen sollten der Hintergrund für unseren Pitch sein und uns Referenzmaterial für deren Bewegungsmuster liefern.

Die Modellierung der Guppies – ich entschied mich für das mit Surface-Tools kombinierte Splinecage-Modeling – war verhältnismäßig einfach, da wir keine hohen Ansprüche an Performance und Detailtiefe für Closeups stellen mussten. Die einzige Schwierigkeit bestand darin, dass unser digitaler Fisch den kritischen Argusaugen der Filmcrew nicht auf den ersten Blick als falsch auffallen durfte.

Gesagt, getan. Ein nächstes Treffen wurde vereinbart, um weitere Details zu besprechen. Während des Meetings führten wir dann unseren digital gedopten Tierhandlungsfilm (siehe hierzu “pitch.mov” und “guppie.avi”) vor und mussten zuerst darauf hinweisen, dass in dem Film etwas nicht echt ist. Die Aufnahme war zugegebenermaßen mit Grain modifiziert und so ausgewählt, dass andere Fische durch ihre Bewegung mehr Aufmerksamkeit auf sich zogen. Als dann die Regisseurin mit dem Brustton der Überzeugung einen echten Guppie als den vermeintlichen 3D-Fisch identifizierte, hatten wir den Job. Und mit dem Job kamen auch die Kopfschmerzen, schließlich sitzen wir in Bonn und nicht in Hollywood.

Fisch-ModelleAbb. 3: Fisch-Modelle

Benötigt wurden also drei verschiedene Fische, von denen eine Art als Schwarm auftreten würde, deren 3D-Modelle und Texturen (2k: 2048 x 1556) closeup-fähig sind und sich darüber hinaus durch ihre Bewegung und Mimik nicht sofort entlarven. Zugegebenermaßen war der Mimik-Aspekt einfach zu bewältigen, da lediglich hektische Augen- sowie Maul- und Kiemenbewegungen animiert werden mussten. Trotz oben genannter Kriterien mussten die Fische wegen der teilweise sehr langen Szenen vom Animationsaufwand im Viewport kontrollierbar bleiben. Die Kennenlern-Szene war mit 1400 Frames, von denen am Ende weniger als die Hälfte verwendet wurde, der mit Abstand längste und arbeitsintensivste Teil des Projektes.

Bevor wir nun zum Character Design kommen, möchte ich noch kurz den exemplarischen Projektablauf abschließen, da die technischen Aspekte zur Genüge in den nachfolgenden Teilen behandelt werden.

Dinge, mit denen wir während der Produktion zu kämpfen hatten, waren u.a.:
Die Ansprüche der Regisseurin, die rein ästhetischer Natur waren (was auch gut so ist und die Animation immer wieder weitergebracht hat), waren oft schwierig mit der technischen Machbarkeit und den Budgetvorgaben der Produktionsleitung in Einklang zu bringen. Als Nächstes ist die Kommunikation mit den am Projekt beteiligten Mitarbeitern und anderen Firmen zu nennen, da Mitteilungen oder Material manchmal nicht mehr auffindbar sind oder Uneinigkeit darüber herrscht, wer für das gerade aufgetretene Problem zuständig ist. Die Größe der im Cineon-Format angelieferten Footage war für die in der Postproduktion durchzuführenden Arbeiten, wie z. B. Composite von Animation und Realfilm, Farbkorrekturen, Entfernung von Staub oder Schmutz auf dem belichteten Material oder Wire-Removal, ein echtes Zeitproblem. Die genaue Imitation der Filmkörnung auf dem von uns produzierten Material sowie Farben, Texturen und Gesamteindruck der Animation überprüften wir durch Probevorführungen in einem Kino. Nach unzähligen Schwierigkeiten jeglicher Art und teilweise enormem Zeitdruck gelangten wir schließlich zum Ende der Produktion und mussten nach einer Vorverlegung des Abgabetermins, wie es Brauch und Sitte ist, die Animation des Titels in einer Nacht fertig stellen.
Siehe hierzu den Trailer.