Artenvielfalt

Digitale und ihre natürlichen Lebensräume

In diesem Kapitel nähern wir uns dem digitalen Phänomen und den sich daraus ergebenden verschiedenartigen virtuellen Gattungen zunächst theoretisch, um deren Entstehung und Hintergründe genauer kennen zu lernen. Neben der Definition von häufig verwendeten Begrifflichkeiten sollen die von uns benötigten Fähigkeiten, ein exemplarischer Projektablauf sowie die Phase des Character Designs und der technischen Planung aus produktionstechnischen Aspekten beleuchtet werden.

Die intensive Auseinandersetzung mit CGI begann in den 70er-Jahren im Rahmen universitärer Forschungsprojekte. Erst ein Jahrzehnt später wurde die 3D-Grafik von der Filmindustrie entdeckt. Diese Branche bot das perfekte Umfeld für die Genese virtueller Charaktere, da sie sowohl über die nötigen finanziellen als auch künstlerischen Mittel verfügte, sich diese äußerst teuere Technologie zunutze zu machen. Damit trug sie gleichzeitig wesentlich zu ihrem Fortschritt bei.

Wenn noch vor ein paar Jahren lediglich wenige Namen, wie z. B. Lara Croft oder Kyoko Date, mit dem Begriff “virtueller Charakter” assoziiert wurden, so ist seitdem die digitale Population und ihre Medienpräsenz erheblich angestiegen. Ferner kommt es aufgrund der technischen Weiterentwicklung immer häufiger vor, dass diese digitalen Persönlichkeiten nicht mehr (zumindest auf den ersten Blick) als solche identifizierbar sind.

Robert T-Online Abbildung 1: Robert T-Online, image courtesy
of David Maas, USA

Max Headroom wird einigen Lesern noch ein Begriff sein. Der Star der später gleichnamigen TV-Serie, bereits ab 1985 als Ansager für Musikvideos auf Channel Four zu sehen, ist als optischer Vorreiter dieser Art zu bezeichnen. Ein mit Latex, Schaumstoffprothesen und Unmengen von Make-up präparierter Schauspieler war die nichtdigitale Basis dieses Charakters. Erste digitale Berührungspunkte mit diversen Verfremdungsfiltern gab es erst während der Postproduktion.

Dennoch wurde ein Look geprägt, der bis heute nichts an Aktualität verloren hat. Man denke an Robert T-Online, für den man sich eben dieser Optik bedient und mit dem man so erfolgreich ist, dass die Telekom im Nachhinein als produktionserleichternde Maßnahme eine digitale Variante des maskierten Schauspielers in Erwägung gezogen hat.

Was ist ein virtueller Charakter?

“Virtuelle Charaktere sind nicht durch äußere Form oder Funktion definierbar. Sie sind in allen audiovisuellen Medien anzutreffen. Ein Humanoider ist ebenso gattungszugehörig wie eine Tischlampe, ein Drache oder ein Buntbarsch. Trotz der unerschöpflichen Vielfalt ihrer optischen Gestalt oder Funktion haben alle, zumindest was die Gegenwart betrifft, ein Merkmal gemeinsam: Sie sind immer computergeneriert und verfügen alle über Merkmale, die den Betrachter auf eine gewisse Autonomie schließen lassen.”

Auch wenn virtuelle Charaktere in den wenigsten Fällen tatsächlich autonom handeln, gibt es doch eindrucksvolle Beispiele hierfür. In der Schlacht um Helms Klamm (Der Herr der Ringe – Die Zwei Türme) wurden die so genannten “Agenten” über das eigens hierfür weiterentwickelte und mit künstlicher Intelligenz versehene Crowd-Tool “Massive” gesteuert und mit derart vielen sich auf ihr Verhalten auswirkenden Faktoren bedacht, dass hier tatsächlich von Autonomie zu sprechen ist. Die Kombination der verwendeten Baukastenelemente zur Erschaffung eines Agenten, der aus Varianten von Körperteilen, unterschiedlichen Rüstungen und Waffen besteht, hatte gleichermaßen Einfluss auf das Verhalten wie beispielsweise Freund-Feind-Verhältnis, Regen oder Terrain etc. Diverse digitale Darsteller zogen es sogar vor, gar nicht erst am Kampf teilzunehmen.

Die Tatsache, dass der vorherige Definitionsversuch relativ vage ist, lässt sich damit erklären, dass es eine Vielzahl verschiedenartiger Gattungen gibt, die sich nicht eindeutig einer Kategorie zuordnen lassen. Obwohl diese spezifische Merkmale in ihren Fähigkeiten sowie in den ihnen zugedachten Einsatzbereichen aufweisen, unterscheiden sich virtuelle Charaktere teilweise stark voneinander.

Der kleinste Nenner, durch den sich zweckgebundene Digitale voneinander abheben lassen, ist die Unterteilung der Gattung in Realtime oder Pre-rendered. Um jedoch der Verschiedenartigkeit der künstlichen Wesen gerecht zu werden, müssen die übergeordneten Bereiche in weitere Subkategorien unterteilt werden.