Realtime

Was die technischen Entwicklungs- und Performance-Vorgaben betrifft, unterscheiden sich Echtzeit-Charaktere nur marginal voneinander, d.h. lediglich im Hinblick auf ihre Anwendung: zum einen Live Performances mittels Motion-Capturing und zum anderen interaktive Applikationen wie z. B. Computerspiele. Jedoch gilt Folgendes für beide in gleicher Weise: So viele Details wie möglich über die Textur vortäuschen und so wenige Details wie möglich in das 3D-Objekt integrieren. Aufgrund dieser starken Merkmalsübereinstimmung im Aufbau lassen sich Echtzeit-Digitale in ihrer Anwendung relativ fl exibel wandeln. Ein magnetisches Motion-Capture-System, wie ich es aus “Moderations”-Projekten kenne, stemmt beispielsweise problemlos 20.000 Polygone und 512er Texture-Pages in Echtzeit. Das Herzstück der prominentesten interaktiven Anwendung, nämlich des Computerspiels, ist die Game-Engine. Ihre Limitationen ergeben sich aus dem Zusammenspiel von Prozessor, Grafikkarte und verwendeter Engine, die wiederum von der Anzahl der zu berechnenden Polygone, Texturgröße, Features und Effekten belastet wird. Der einzige Unterschied zwischen PC und Konsole liegt darin, dass die technischen Spezifi kationen für Konsolen bekannt sind, wohingegen der PC einen High-/Low-End-Bereich abdecken muss. Da sich Leistungsfähigkeit und Eigenschaften verschiedener Engines stark voneinander unterscheiden, sind Produktionsvorgaben an den jeweiligen Typus gebunden. Im Falle des Egoshooter “Y-Project” von Westka Interactive kam die Unreal-Warfare-Engine zum Einsatz. Die technischen Vorgaben für Hauptpersonen lauteten: pro Figur maximal 5000 Polygone, jeweils drei 1024er Texture-Pages (Kopf, Torso und Beine), nach Möglichkeiten auf 512er Pages ausweichen. Deformation über Biped-Physique (rigid, no blending), Verwendung von Motion-Capture-Daten.

Avatare

Das aus dem Sanskrit stammende Wort “Avatar” hat seinen Ursprung in der hinduistischen Mythologie und bezeichnet die körperliche Manifestation des Gottes Vishnu auf der Erde. Die Verwendung dieses Begriffes für die visuelle Verkörperung eines Benutzers im Cyberspace wurde 1985 von Chip Morningstar im Zusammenhang mit “Habitat”, der ersten Avatar-Umgebung, geprägt. Im Gegensatz zu anderen Digitalen verfügt der Avatar über wirkliche, von uns eingehauchte, Autonomie. In Kunstwelten fungiert er als interaktives Medium, verschafft uns Zutritt zu diesen sowie Handlungsfreiheit innerhalb definierter Reglements. Im Hinblick auf unseren Produktionsalltag assoziieren wir diese Art von Echtzeit-Charakteren hauptsächlich mit Computerspielen wie z.B. Ultima, Diablo, Unreal oder Gothic.

Virtuelle Helfer, Knowbots und Verbots ...???

Abbildung 2 - Computerspiel EchzeitmodellAbb. 2: Computerspiel Echzeitmodell

“Willkommen bei Virtual Personalities, Inc. – dem neuen Gesicht der Technologie. Wir entwickeln hoch intelligente Benutzerschnittstellen, unsere verbal interaktiven Verbots. Diese sympathischen, hilfsbereiten Agenten machen komplexe Kommunikation mit Datenbanken zum reinen Vergnügen, für Anfänger genauso wie für Experten. Sie revolutionieren die Art, mit der man heute mit Technologie umgeht. Lassen Sie sich von dem Interface begeistern, das mit dem innovativen Einsatz von künstlicher Intelligenz, natürlicher Sprache und Echtzeit-Animation von Virtual Personalities Inc. entwickelt wurde.”
Virtual Personalities, Inc.

Abstrakte Informationstechnologie wird personifiziert und tritt mit dem User in Interaktion. Diese intelligenten “Human Interfaces” entlasten den informationsüberfluteten Benutzer, indem sie Informationen suchen, filtern und strukturieren oder durch deren interaktive Vermittlung einfach unterhalten.

Hierbei kommen an Datenbanken angebundene Softwarepakete zum Einsatz, die wiederum das virtuelle Frontend steuern. Angeforderte Informationen werden mit audiovisuellem Feedback verbunden. Die technischen Lösungsansätze für dieses Feedback reichen von animierten GIF-Sequenzen, die kontextabhängig aufgerufen werden, bis hin zu interaktiv steuerbaren und autonom wirkenden 3D-Figuren. Animierte Mimik, Gestik und Sprachsynthese ermöglichen eine menschliche Kommunikation und schaffen Spaß im täglichen Umgang mit dem Computer. Wo einfache Software-Lösungen vordefinierte Frage-Antwort-Situationen benötigen, verfügen komplexere und deutlich kostenintensivere Programme über eine künstliche Intelligenz, die es den Know- oder Verbots (Ver steht für Verbal) ermöglicht, ihr anfängliches Frage-Antwort-Repertoire ständig zu erweitern.

Virtuelle Idole

Abbildung 3 - Virtual Guide AidaAbb. 3: Virtual Guide “Aida”, image courtesy
of Steven Stahlberg, Sweden, (Maya)

Die Idee der japanischen Unterhaltungsindustrie, die hinter dem Konstrukt der virtuellen Idole stand, bestand darin, ein ideales Idol mit höchstmöglicher Akzeptanz zu erschaffen, das alle dafür nötigen Talente perfekt in sich vereinigt. Einsatzbereiche sind alle erdenklichen Promotions- und Merchandising-Zwecke in der Medienwelt. Ein Beispiel: Kyoko Date, Codename DK 96 (das DK steht für Digital Kids), wurde 1996 ins Leben gerufen. Sie ist das erste virtuelle Idol. An ihrer Entwicklung arbeiteten ein Dutzend Entwickler des Visual Science Laboratory, im Auftrag der japanischen Talentagentur Hori Production CO., der Hakuhodo Werbeagentur und JVC Records. Die Entwicklungszeit betrug zwei Jahre und verursachte Kosten von ca. 7 Millionen Dollar. Auch wenn diese Summe enorm erscheint, wurde ihr Marktwert von McKinsey auf 20.000 Millionen Dollar geschätzt. KYOKO DATE Profi l – Geburtsort: Fussa, Tokyo, Japan; Größe: 162 cm (wächst noch); Maße: 83-56-82 cm; Sternzeichen: Skorpion; Blutgruppe: A; Lieblingsfarben: Weiß und Schwarz; Lieblingsfilm: Toy Story etc. Das japanische Phänomen “Virtual Idol” ist eine gesellschaftliche Erscheinungsform, die in unserem Kulturkreis auf wenig Akzeptanz gestoßen ist. Tatsache aber ist, dass die japanischen Charakterspezialisten, mit der ihrer Kultur eigenen Begeisterung für neue Technologie, zu den Pionieren in diesem Bereich zählen.

Es war einmal ein Animator, der verzweifelt versuchte, ein erfolgreiches Computerspiel zu produzieren. Aber leider schlugen alle Bemühungen fehl. Seinen letzten Versuch, diesen Traum zu verwirklichen, nannte er schließlich “Final Fantasy”, und was folgte, ist Geschichte. Das Spiel wurde zu einem unglaublichen Triumph, dem weitere, nicht weniger erfolgreiche Teile folgten, mit insgesamt 30 millionenfach verkauften Exemplaren. Dieser Erfolg und die damit verbundenen finanziellen Mittel ermöglichten es ihm, einen noch unglaublicheren Traum anzugehen: die oft zitierte Erschaffung einer neuen Unterhaltungsform – die fotorealistische Symbiose aus Videogame und Spielfilm. Trotz der zur Verfügung stehenden Mittel waren sich Produzenten und hinzugezogene Spezialisten bis zum Ende nicht sicher, ob dieser Traum wirklich realisierbar sein würde. Klar war jedoch, dass die weltweit Besten für diesen Job benötigt wurden. Deshalb fiel die Wahl auf Hawaii als symbolischen Treffpunkt für die asiatischen Charakterspezialisten aus Fernost und den in Hollywood erprobten Animatoren der Westküste. Alles Weitere sollte unbedingt nachgelesen werden!

Virtuelle Modelle

Abbildung 4Abb. 4: Image courtesy of
Beans Magic, Japan

Diese äußerst populären Kunstgeschöpfe sind im eigentlichen Sinne keine eigenständige Art, da sie sich in ihrer technischen Machart und in ihren Einsatzbereichen nicht grundlegend von Idolen unterscheiden – sie sollen auch nur der Vollständigkeit halber aufgezählt werden. Die Nachricht, dass die Elite-Modellagentur eine Million Dollar für das virtuelle Model “WebbieTookay” ausgab, zeigt jedenfalls, ob wahr oder nicht, dass hier das nötige Potenzial für eine groß angelegte PR-Kampagne zu finden ist. Hierfür wurde kein Geringerer als Steven Stahlberg, Art Director bei Optidigit und einer der ganz Großen, was die Erschaffung von digitalen Frauen betrifft, verpflichtet. Bei meinen ersten Geh- und Modellierungsversuchen habe ich von ihm nette und konstruktive Anregungen bekommen. Damit will ich sagen, dass es sinnvoll ist, sich an solchen Power-Usern zu orientieren und den Dialog mit ihnen zu suchen.